Newsletter

Kostenrisiko nicht verfallene Urlaubsansprüche

Praktische Umsetzung der neuesten Rechtsprechung zum Urlaubsverfall 

UrlaubsverfallInsbesondere bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses stellt sich die Frage, in welcher Höhe Urlaubsansprüche vorhanden sind, da diese dann entweder häufig im Rahmen einer Freistellung eingebracht werden sollen oder auszuzahlen sind. Arbeitgeberseits besteht vor allem in diesen Fällen ein finanzielles Risiko bzgl. verfallen geglaubter Urlaubsansprüche, die aber tatsächlich noch nicht verfallen sind. 

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer verfallen und welche Pflichten den Arbeitgeber treffen, hat auch in jüngster Vergangenheit wieder das Bundesarbeitsgericht beschäftigt. Für die Praxis ist vor allem die Frage relevant, welche Pflichten die Arbeitgeber treffen und wie diese praktisch und einfach umgesetzt werden können.   

Ausgangssituation

Das Bundesurlaubsgesetz regelt, dass das Urlaubsjahr das jeweilige Kalenderjahr ist. In diesem Zeitraum ist der Urlaub zu nehmen. Wird dieser nicht genommen, droht der ersatzlose Verfall. Dieser kommt aber nicht mehr automatisch, sondern setzt ein Tätigwerden des Arbeitsgebers voraus. 



Verkürzt kann man sagen:

Wenn der Arbeitgeber nichts tut, verfällt nicht genommener Urlaub auch nicht. Ausgenommen hiervon sind dauerkranke Arbeitnehmer.  



So entschied bereits 2018 der EuGH, dass der Arbeitgeber Aufforderungs- und Hinweispflichten nachkommen muss, um die Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den ihnen zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Folge ist, dass aus diesem Grund arbeitgeberseits ein entsprechendes rechtzeitiges Hinweisschreiben grundsätzlich an alle Arbeitnehmer erfolgen muss, damit ein Verfall von nicht genommenen Urlaubsansprüchen erfolgt.



Aber was beinhalten diese Aufforderungs- und Hinweispflichten konkret? 

  • Die Unterrichtung muss in Textform erfolgen, d.h. eine E-Mail reicht. 
  • Der Arbeitgeber muss den Zugang im Einzelfall nachweisen können.
  • Die Unterrichtung muss sich auf konkrete Urlaubsansprüche beziehen, auch bzgl. dem Zeitpunkt des Verfalls.
  • Ein allgemeiner Hinweis im Arbeitsvertrag, ein Merkblatt oder eine Betriebsvereinbarung reichen nicht aus.
  • Die Unterrichtung muss rechtzeitig erfolgen (kurz vor Ende des Urlaubsjahres ist zu spät).

Im Ergebnis muss ein klarer und rechtzeitiger Hinweis an die Arbeitnehmer erfolgen, dass der Urlaub bei Nichtnahme verfällt.

Was passiert aber, wenn ich diese Pflichten als Arbeitgeber nicht erfülle? 

Das Bundesarbeitsgericht beschäftigte sich in seiner Entscheidung vom 20.12.2022 - 9 AZR 266/20 mit der Frage, inwieweit diese Urlaubsansprüche, die somit nicht verfallen sind, der Verjährung unterliegen. Grundsätzlich unterliegen alle Ansprüche der Verjährung. Diese beträgt meist drei Jahre und beginnt mit dem Schluss des Kalenderjahres in dem der Anspruch entsteht. 

Kann man also sagen, aller Urlaub der beispielsweise vor 2020 entstanden ist, bereits verjährt ist und somit nicht mehr geltend gemacht werden kann? Das BAG widerspricht in seiner neuen Rechtsprechung dieser Auffassung.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin war vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 bei der Beklagten beschäftigt und hatte über die Jahre hinweg wegen des hohen Arbeitsaufkommens ihren Urlaub nicht antreten können. Arbeitgeberseits wurde die Klägerin weder aufgefordert, ihren Urlaub zu nehmen noch darauf hingewiesen, dass dieser verfallen könnte. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat die Klägerin dann die Abgeltung der nicht genommenen Urlaubsansprüche geltend gemacht. 

Mit der Entscheidung vom 20.12.2022 fällte das Bundesarbeitsgericht das Urteil, dass die Verjährung von Urlaubsansprüchen im laufenden Arbeitsverhältnis erst am Ende desjenigen Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer dennoch den Urlaub aus freien Stücken nicht genommen hat. 



Oder anders gesagt, ohne Hinweisschreiben auch keine Verjährung. Es gibt insofern im laufenden Arbeitsverhältnis keine zeitliche Grenze, wann Urlaub verfällt, außer es wurde entsprechend vom Arbeitgeber hingewiesen. 

Ein Risiko für den Arbeitgeber besteht somit darin, dass er ggfs. gar nicht weiß oder mehr aufklären kann, ob er in der Vergangenheit auch rechtlich wirksam seinen Pflichten nachgekommen ist. Man wird sich die Frage stellen müssen, ob der Hinweis in der Vergangenheit wirksam erfolgt und der Zugang beim einzelnen Arbeitnehmer nachweisbar ist.

Wie ist es bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses? 

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wandelt sich der Freistellungsanspruch in einen Geldanspruch. 



Hier vertritt das Bundesarbeitsgericht die Auffassung, dass dieser jedoch innerhalb der vereinbarten Ausschlussfristen geltend zu machen ist, egal ob ein Hinweisschreiben erfolgt ist. Selbiges gilt für die Verjährung, welche mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses beginnt. 

Bei bereits beendeten Arbeitsverhältnissen können Sie insofern sicher sein, dass keine Ansprüche mehr geltend gemacht werden können, sofern die Ausschlussfristen oder die Verjährung von 3 Jahren bereits abgelaufen sein sollte. 



Die rechtliche Beendigung bildet insofern eine Zäsur. Der Unterschied bezüglich der Verjährung im laufenden Arbeitsverhältnis, deren Beginn die Einhaltung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers erfordert und des „automatischen“ Beginns der Verjährung bei Beendigung, ergibt sich aus den Unterschieden zwischen den jeweiligen Ansprüchen. 



Der Urlaubsanspruch richtet sich auf Freistellung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung, während der Urlaubsabgeltungsanspruch einen reinen Zahlungsanspruch darstellt. Bei diesem Zahlungsanspruch endet nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Auswirkungen für die Praxis

Für die Praxis bedeutet insbesondere die Entscheidung, dass im laufenden Arbeitsverhältnis eine Verjährung erst beginnt, wenn der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nachgekommen ist, das größte rechtliche Risiko. 

Einerseits bezüglich der Frage, wie man mit den Fällen umgehen sollte, bei denen beispielsweise die letzten Jahre gar kein Hinweisschreiben erfolgt ist. Andererseits mit den Fällen, in den dieses zwar erfolgt ist, jedoch den Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts nicht genügt oder der Zugang schlichtweg nicht dokumentiert wurde. Denn letztendlich muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass er ordnungsgemäß seinen Obliegenheiten nachgekommen ist. Dies ist sicherlich im Einzelfall problematisch, wenn keine entsprechende Dokumentation erfolgt ist.

Es empfiehlt sich jedoch auf jeden Fall – sofern nicht bereits vorhanden - erstmal einen „Standard“-Ablauf festzulegen, wann und wie die Arbeitnehmer zukünftig über den Verfall informiert und zur Urlaubsnahme aufgefordert werden. So sollte ein Schreiben an alle Arbeitnehmer zu Beginn des jeweiligen Kalenderjahres erfolgen und ggfs. im Laufe des Jahres durch ein zweites Schreiben ergänzt werden, welches noch in der ersten Jahres­hälfte versandt werden sollte und insbesondere die Arbeitnehmer anspricht, welche bisher wenig Urlaub verplant und genommen haben. 

Wichtig ist hierbei dann, dass der Zugang der Schreiben auch nachgewiesen werden kann, sei es durch Empfangsbestätigung oder Ähnliches. Wünschenswert wäre sicherlich eine softwarebasierte möglichst einfache Lösung, welche sowohl die Schreiben anhand der Urlaubskonten erstellt und dann entsprechend auch den Zugang dokumentiert.